Arbeitsunfall im Homeoffice

Unfall im Homeoffice – Arbeitsunfall oder Privatsache?

Wer ist verantwortlich, wenn ein Unfall beim Arbeiten zu Hause passiert? Zahlt die gesetzliche Unfallversicherung die Kosten von Behandlung, Reha oder übernimmt sie ggf. die Unfallrente, wenn ein Mitarbeiter im Homeoffice die Treppe herunterfällt und sich dabei verletzt? Oder ist das verstauchte Fußgelenk, das gebrochene Bein Privatsache?
Die Antwort: Es kommt darauf an. Wir erklären, wann ein Unfall im Homeoffice ein Arbeitsunfall ist.

Die Schwierigkeit dabei ist, dass es zwar eine einfache Definition für Arbeitsunfälle gibt, es aber viele komplizierte Einzelfälle gibt, bei denen Richter entschieden haben, landeten vor Gericht. In der Folge entschieden Richter, ob ein Sturz ein Arbeitsunfall war oder nicht. Daher gehen wir auf die Rechtsprechung ein, die viele Kriterien dafür geschaffen, unter welchen Umständen eine Verletzung gesetzlich unfallversichert ist und wann nicht.

Der allgemeine Arbeitsunfall

Grundsätzlich gilt, es handelt sich dann um einen Arbeitsunfall, wenn ein Beschäftigter oder freiwillig Versicherter bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit. Das ist bewusst weit gefasst, denn zu den beruflichen Tätigkeiten zählen auch Dienstreisen, Aktivitäten beim Betriebssport, Dienstfahrten oder Betriebsausflüge und Betriebsfeiern. Hierbei ist zu beachten, dass sowohl die Dienstfahrt als auch die Ausflüge und Betriebsfeiern dem Unternehmen dienen müssen. Auch der Weg zur Arbeitsstätte ist versichert (dazu unten mehr unter „Der Wegeunfall„). Anders gesagt: Arbeitsunfälle sind die Unfälle, die versicherten Personen infolge der versicherten Tätigkeit erleiden

Der innere Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Unfallursache

Die gewerblichen Berufsgenossenschaften bzw. die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand prüfen jeden Einzelfall, ob ein Arbeitsunfall vorliegt. Neben Fragen wie, ob die oder der Verunfallte tatsächlich versichert war, ist ein Kriterium, ob es einen „inneren, ursächlichen Zusammenhang“ der Unfallursache mit einer betrieblichen Tätigkeit gibt.

Kein Arbeitsunfall, wenn die Ursache eine eigenwirtschaftliche/private Tätigkeit ist

Welche Tätigkeit betrieblich bedingt ist und welche nicht, ist immer wieder Gegenstand von Gerichtsverfahren. Unstrittig ist: Wenn eine private oder vorwiegend private Tätigkeit Ursache für einen Unfall ist, ist diese Verletzung nicht als Arbeitsunfall einzustufen. Zu den höchstpersönlichen oder eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten zählen zum Beispiel Essen und Trinken, Schlafen, Einkaufen, Spazierengehen.

Sturz vor der Kantine ist ein Arbeitsunfall, in der Kantine eher nicht

Aber auch hier kommt es auf die Umstände an. Eine verbrannte Lippe durch zu heißen Kaffee in der Mittagspause ist kein Arbeitsunfall, da Essen und Trinken sogenannte eigenwirtschaftliche, also private Tätigkeiten sind. Aber ein Sturz auf dem Weg in die betriebseigene Kantine gilt ein Arbeitsunfall, einer innerhalb der Kantine oder im Pausenraum hingegen nicht (Urteil des Landesozialgerichts Baden-Württemberg vom 16.06.2015, L 9 U 1534/14).

Ob ein Arbeitsunfall vorliegt oder nicht, hängt auch vom Ort ab

Woraus sich bereits neben dem inneren, ursächlichen Zusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit ein weiteres wichtiges Kriterium dafür herausschält, ob ein Arbeitsunfall vorliegt oder nicht: Der Ort ist mitentscheidend. Auf dem Betriebsgelände kann fast jede Tätigkeit, die nicht privat ist, Ursache für einen Arbeitsunfall sein. Anders ist es, sobald man nach Hause kommt. Die Richter des Bundesozialgerichts erklärten 2018:

Als die Klägerin am Unfalltag von dem Messebesuch (als Ort versicherter Tätigkeit) nach Hause zurückkehrte, endete der versicherte Weg von dem Ort der Tätigkeit mit dem Durchschreiten der Außenhaustür.

BSG Urteil v. 27.11.2018 – B 2 U 28/17 R

Um das zu verstehen, muss man sich näher den Sonderfall des Arbeitsunfalls, den Wegeunfall anschauen.

Der Wegeunfall

Nach dem VII. Sozialgesetzbuch liegt dann um ein Wegeunfall vor, wenn der Arbeitnehmer sich zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem unmittelbaren Weg zur oder von der Tätigkeit befindet (§ 8 Abs. 2 SGB VII). Das bedeutet, der Weg, auf dem sich derjenige befindet, muss direkt mit der versicherten Arbeitstätigkeit verbunden sein.
Beispiel: Herr Müller verlässt sein Haus. Sein Weg zur Arbeit beginnt. Er steigt ins Auto und fährt los, mit dem Ziel zur Arbeit zu fahren. Er kommt bei der Betriebsstätte an und steigt aus dem Auto. Sobald er nun seine Arbeitsstätte betritt, ist sein Arbeitsweg beendet.

Abstecher sind nicht gesetzlich unfallversichert

Anders sieht es aus, wenn er auf dem Weg noch einen Abstecher zum Bäcker macht. Sobald mit der Fahrt bzw. dem zurückgelegten Weg nicht nur das Ziel die Arbeit zu erreichen verbunden ist, sondern auch ein privater Zweck, wie das Kaufen von Kaffee und Croissant für den Eigenbedarf oder das Einwerfen eines privaten Briefes (vgl. Urteil des Bundesozialgerichts vom 7.5.2019, B 2 U 31/17 R), dann ist der Wegabschnitt und die private Tätigkeit nicht gesetzlich unfallversichert. Erst, wenn Herr Müller nach dem Verlassen der Bäckerei wieder ins Auto steigt mit dem Ziel weiter zur Arbeit zu fahren, befindet er sich nach gängiger Rechtsprechung wieder auf dem Arbeitsweg.
Aber wie immer, Ausnahmen bestätigen die Regel. Deshalb handelt es sich trotz Unterbrechung um einen Arbeitsweg, wenn der Arbeitnehmer auf dem Weg:

  • sein Kind absetzt bzw. abholt
  • einen Kollegen absetzt bzw. abholt (Fahrgemeinschaft)
  • eine Verkehrsumleitung nehmen muss
  • oder einen längeren Weg fährt, weil dieser eben schneller zum Arbeitsort führt.

Sonderfall Homeoffice

Wie oben schon festgestellt, endet der gesetzlich unfallversicherte Weg von der Arbeitsstätte nach Hause mit dem Durchschreiten der Außentür. Was dahinter liegt, ist für die Sozialgerichte grundsätzlich nicht vom gesetzlichen Unfallversicherungsschutz erfasst. Auch wenn im häuslichen Bereich gearbeitet wird, bleibt es eine private Sphäre, so die bisherigen Entscheidungen des Bundessozialgerichts .

Die der privaten Wohnung innewohnenden Risiken hat nicht der Arbeitgeber zu verantworten und vermag der Versicherte selbst am besten zu beherrschen.

BSG vom 05.07.2016 – B 2 U 5/15 R –

Daher trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer die Risiken, die von seinem persönlichen Lebensbereich ausgehen. Der Arbeitgeber habe keine Möglichkeit, präventive, gefahrenreduzierende Maßnahmen zu ergreifen, heißt es zu Begründung des Bundesozialgerichts für diese Risikoverteilung.

Der Unterschied: Sturz auf dem Weg zur Toilette im Homeoffice kein Arbeitsunfall, auf dem Firmengelände schon

Diese grundsätzliche Entscheidung führt dazu, dass bestimmte Tätigkeiten, die auf dem Betriebsgelände von der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst werden, im häuslichen Bereich privater Natur sind. Wer sich innerhalb eines Firmengeländes auf dem Weg zur Toilette macht und sich bei einem Sturz den Fuß bricht, hat einen Arbeitsunfall erlitten. Macht er das zu Hause bei seiner Tätigkeit im Homeoffice, kann er nicht auf die umfassende Heilbehandlung mit Reha und Verletztengeld hoffen, die ihm bei einem Arbeitsunfall zustünden, denn aus Sicht der Rechtsprechung ist er gewissermaßen privat gestürzt (SG München, Urteil v. 04.07.2019 – S 40 U 227/18).

Wohnräume sind keine Arbeitsstätten, aber können welche enthalten

Allerdings fallen für die Gerichte bestimmte Tätigkeiten und auch Wege innerhalb des häuslichen Bereichs sehr wohl unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Eine Voraussetzung dafür ist, dass Tätigkeiten in einem Homeoffice ausgeübt werden. Das ist immer dann der Fall, wenn es Regelungen gibt wie es sie für die sogenannten Telearbeitsplätze nach § 2 Abs. 7 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) gelten. Das sind nur solche

Arbeitsräume, in denen Arbeitsplätze aufgrund arbeitsvertraglicher (Individual-)Vereinbarungen innerhalb von Gebäuden dauerhaft eingerichtet sind und in denen Beschäftigte im Rahmen ihrer Arbeit regelmäßig (ausschließlich oder alternierend) tätig werden („Home Office“).

Urteil des BSG vom 27.11.2018, B 2 U 8/17 R

Das Notebook auf dem Küchentisch ist für Richter noch kein Homeoffice

Das heißt, das Notebook auf dem Küchentisch begründet an sich noch kein „Home Office“ im Sinne des Bundessozialgerichts. Allerdings kann es dazu werden, wenn eine Weisung des Arbeitgebers vorliegt:

Liegt der arbeitsvertraglich vereinbarte Erfüllungsort (§ 269 BGB) für die Arbeitsleistung (Arbeitsort) dagegen außerhalb des Wohnhauses des Beschäftigten und erledigt er seine Arbeit (ggf. eigeninitiativ außerhalb der Arbeitszeit) zu Hause, ohne dies arbeitsvertraglich vereinbart zu haben oder dazu aufgrund einer (Einzel-)Weisung des Arbeitgebers angehalten worden zu sein, scheidet eine „Home-Office“-Konstellation regelmäßig aus.

Urteil des BSG vom 27.11.2018, B 2 U 8/17 R

Weisung des Arbeitgebers entscheidend dafür, ob Homeoffice vorliegt

Wiederum anders formuliert: Liegt eine Weisung des Arbeitgebers vor, kann versicherungsrechtlich von einem Homeoffice ausgegangen werden. Bei den meisten, die aufgrund des Lockdowns ihre berufliche Tätigkeit im Homeoffice ausüben, dürfte eine solche Weisung des Arbeitgebers vorliegen.

Eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ist auch im Homeoffice gesetzlich unfallversichert – zumindest grundsätzlich

Auch Wege innerhalb des eigenen Wohnbereichs können für das Bundessozialgericht (BSG) gesetzlich unfallversichert sein. Ein Kriterium dafür war lange Zeiten die „objektive“ Nutzungshäufigkeit. Das BSG hat schon vor Jahren erkannt, dass dies in den Fällen, in denen Treppen, Flure, Türdurchgänge sowohl betrieblich als auch privat genutzt werden, gelinde gesagt kompliziert werden kann. Es hat daher für die Feststellung, ob im häuslichen Bereich ein Arbeitsunfall vorliegt, das Kriterium einer „objektivierten Handlungstendenz“ aufgestellt. Ob sie vorliegt, muss in jedem Einzelfall von den Richtern geprüft werden (vgl. zusammenfassend das Urteil des BSG vom 27.11.2018, B 2 U 8/17 R.)

Die objektivierte Handlungstendenz im Homeoffice

Die objektivierte Handlungstendenz ähnelt dem inneren, ursächlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, den die Berufsgenossenschaften für das Vorliegen eines Arbeitsunfalles verlangen. Ob ein Arbeitsunfall vorliegt oder nicht, hängt davon ab, ob eine Tätigkeit dadurch motiviert und charakterisiert ist, dem Unternehmen zu dienen. Die Richter des Bundessozialgerichts brauchten aber etwas, um die Angaben von Klägern überprüfbar zu machen. Auch bei den Sozialgerichten weiß man, dass die „unternehmensdienlichen“ Verrichtungen bei abhängig Beschäftigten im Homeoffice mit dem Privatleben verwoben sein können.

Damit aus Sicht des Bundessozialgerichts ein Arbeitsunfall geschehen ist, muss der Arbeitnehmer zum einen:

  • in dem Moment, in dem der Unfall passiert ist, die Absicht gehabt haben für das Unternehmen tätig zu sein

und zum anderen:

  • muss diese Motivation durch objektive Umstände bestätigt werden können.

Letzteres ist der Versuch, für die eher schwer überprüfbare Absicht eines Verunfallten Indizien zu finden.

Zur Objektivierung der Handlungstendenz sind stets alle Umstände des Einzelfalles insbesondere der Unfallzeitpunkt, der konkrete Ort des Unfallgeschehens sowie dessen objektive Zweckbestimmung, als äußere Indizien (Hilfstatsachen) zu berücksichtigen.

BSG Urteil v. 27.11.2018 – B 2 U 28/17 R

Fall: Sturz im Treppenhaus mit Notebook in der Tasche auf dem Weg, um den Chef anzurufen

Beispiel: Eine Sales und Key Account Managerin arbeitet von zu Hause aus und hat im Keller ihres Hauses ein Büro eingerichtet. Auf einer Messe wird sie aufgefordert, den Geschäftsführer anzurufen. Sie fährt dazu nach Hause und will in ihrem Büro im Kellergeschoss den mitgeführten Laptop anschließen, um über diesen mit dem Geschäftsführer zu telefonieren. Sie rutscht auf der Kellertreppe aus und verletzt sich im Wirbelsäulenbereich. Dabei führte sie eine Tasche mit ihrem Laptop sowie sonstiges Arbeitsmaterial mit sich (BSG Urteil v. 27.11.2018 – B 2 U 28/17 R)

Zu Hause ist alles anders

Auf den ersten Blick ist dieser Fall eindeutig. Eine Versicherte stürzt auf dem Weg zu ihrem Homeoffice, um eine betriebliche Tätigkeit auszuüben. Außerhalb ihres Hauses wäre die Sales-Managerin auf einem gesetzlich unfallversicherten Weg gewesen. Zu Hause ist das aber anders. Der gesetzliche Versicherungsschutz endete als sie ihr Haus betrat. In der Folge fragte sich in der zweiten Instanz das Bayerische Landessozialgericht, ob die Kellertreppe wesentlich privat genutzt wurde oder dem Unternehmen bzw. seinen Betriebszwecken wesentlich diente. Das Bundesozialgericht verwarf diese Argumentation und wies daraufhin, dass stattdessen das Vorliegen einer objektivierte Handlungstendenz zur betrieblichen Tätigkeit das Hauptkriterium dafür sei, ob ein Arbeitsunfall vorliege oder nicht.

Arbeitnehmer im Betrieb umfangreicher versichert als im Homeoffice

Die Rechtsprechung im Falle eines Unfalls im Homeoffice ist kompliziert. Fakt ist allerdings, dass in der Betriebsstätte der Arbeitnehmer besser unfallversichert als bei seiner Tätigkeit im Homeoffice. Wer auf dem Weg in die Teeküche oder in die Kantine stürzt, um dort ein Glas Wasser zu trinken, ist gesetzlich unfallversichert. Wer das zu Hause macht, hat nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesozialgerichts wenig Chancen, dass dieser Sturz als Arbeitsunfall anerkannt wird (Urteil des Bundessozialgerichts vom 5.07.2016 , B 2 U 5/15 R)

Das gilt auch für Fahrten, die im Homeoffice Beschäftigte unternehmen. Wer auf dem Weg zu seiner Betriebsstätte sein Kind in den Kindergarten bringt, ist gesetzlich unfallversichert. Der Weg aus dem Homeoffice zum Kindergarten und zurück ist es hingegen nicht (Urteil des Bundesozialgerichts vom 30.01.2020, B 2 U 19/18 R)

Fazit: Arbeitsunfall oder nicht?

Ob ein Unfall im häuslichen Umfeld ein Arbeitsunfall ist, hängt von vielen Faktoren ab und ist nicht pauschal zu beantworten. Voraussetzungen, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, sind für Sozialgerichte folgende Anhaltspunkte:

  • Der Verunfallte ist gesetzlich unfallversichert nach SGB VII.
  • Es gibt eine Weisung des Arbeitgebers, dass der Arbeitnehmer im Homeoffice tätig sein soll.
  • Es ist eine objektivierte Handlungstendenz eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben zu wollen feststellbar. Dabei müssen neben der Absicht des Verunfallten beruflich tätig sein zu wollen, auch Indizien vorliegen. Klassisches Beispiel dürfte die Tasche mit dem firmeneigenen Notebook sein, die die oder der Verunfallte beim Sturz in der Hand hält. Aber auch der Unfallzeitpunkt und Unfallort sind Indizien, die ein Richter bei der Abwägung, ob eine objektivierte Handlungstendenz vorliegt oder nicht, berücksichtigen muss.

Bei allen Fragen, ob Arbeitsunfälle in Zusammenhang mit dem Homeoffice vorliegen, trennen die Gerichte strikt zwischen betrieblich bedingten und privaten bzw. eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten. Während der Weg zu einer höchstpersönlichen Tätigkeit wie dem Essen in der Kantine auf einem Betriebsgelände unfallversichert ist, sind die Vorbereitungshandlungen (etwa der Gang in die Küche) nicht gesetzlich unfallversichert.

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